Samstag, 19. März 2016

Achtung, das wird ein trauriger Post. Oder zumindest ein nachdenklicher.

In letzter Zeit kochen viele alte Erinnerungen in mir hoch. Dabei sind nicht nur schöne, sondern auch viele schmerzhafte und lange verdrängte. Das mag mit den allgemeinen Umständen in der Welt, der homöopathischen Therapie, dem Alter meiner Tochter oder einfach damit zusammenhängen, dass es irgendwann an der Zeit ist, loszulassen.



Das sind mein Vater und ich.
Ich muss etwa fünf oder sechs sein auf dem Bild. Es war Ostern und wir gingen in den Wald, um nach Eiern zu suchen. Sieben Jahre später ist mein Vater bei einem Unfall ums Leben gekommen.

Ich vermisse ihn. Noch immer. Jeden Tag.

Ich vermisse das Gefühl, dass da jemand ist, zu dem ich aufschauen kann. Der meine Hand nimmt und mich führt und der den Weg ganz genau kennt. Dass mein Vater ihn nicht kannte, weiß ich heute auch. Vermutlich hätten wir uns fürchterlich gezofft, weil ich nicht in sein enges, kleines Weltbild gepasst hätte.
Heute frage ich mich, ob die Männer, mit denen ich zusammen war, immer nur eine Art Vaterersatz für mich waren. Ob ich mich angezogen fühlte von dem Wunsch, etwas Kaputtes  - unsere Familie - wieder herzustellen, „heil zu machen“. Ich weiß die Antwort noch nicht.

Ich frage mich oft, wie ich geworden wäre, wäre mein Vater nicht so früh verunglückt. Hätte ich studiert? Welchen Beruf hätte ich ergriffen? Fotografin? Journalistin? Oder doch was sicheres? Eins ist sicher, nicht Archäologin.
Hätte ich Kinder? Wäre ich überhaupt verheiratet? Und wenn ja, mit wem? Wo würde ich leben?

Ich betrachte zur Zeit oft ein Bild von mir, aufgenommen als ich klein war, etwa 3 oder vier Jahre. Es entstand an einem sonnigen Tag im Arbeitszimmer meines Vaters. Ich schaue offen und noch unverdrossen in die Kamera. Etwas, was ich heute nie tun würde, ich hasse es, fotografiert zu werden. Mein Blick ist offen und freundlich, irgendwie neugierig. Ich war gespannt darauf, was das Leben mir zu bieten haben würde.

Doch dann kam dieser Tag im Mai, der alles veränderte.

Die Karriere als Fotografin, das Studium in England, die gesicherte Zukunft, alles weg. Die Familie, das bisschen Zusammenhalt, das wir hatten, fort. Von diesem Tag an waren wir Einzelkämpfer, die zusehen mussten, wie sie überleben.

Sehr viel Konjunktiv in diesen Sätzen. Was hätte gewesen sein können…
Es ist Zeit, das alles gehen zu lassen.

Doch das ist ein Prozess und ich fühle, ich bin dem Kokon, in dem ich steckte, noch nicht vollständig entwichen. Mancher würde sagen, ich grüble zu viel. Dabei höre und fühle ich in mich hinein und lasse die Tränen gehen, die ich so lange Zeit in mir aufbewahrt habe. Dabei bin ich lieber allein, auch wenn ich damit manchmal den Menschen vor den Kopf stoßen muss, die ich liebe.



Es braucht eben Zeit, bis der Schmetterling nach dem Schlüpfen seine Flügel entfalten kann.